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10.05.2023 | Bank- und Kapitalmarktrecht:
BGH: Keine Pflicht zur Zahlung von „Negativzinsen“ aus einem Schuldscheindarlehen
(Urteil vom 09.05.20223 – XI ZR 544/21)
Der Bundesgerichtshof hat unter dem Datum vom 09.05.2023, Aktenzeichen: XI ZR 544/21, entschieden, dass es bei einer gemäß § 488 Abs. 1 BGB getroffenen Zinsabrede keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze bedarf, um bei einem Absenken des Referenzzinssatzes einschließlich Zinsaufschlag unter Null die Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung von nominalen „Negativzinsen“ an den Darlehensnehmer zu begrenzen.
Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt wurde durch das Erst- als auch das Berufungsgericht jeweils unterschiedlich gesehen. Nachdem das Erstgericht der Klage stattgegeben hatte, wurde dieses Urteil durch das Berufungsgericht aufgehoben. Das klagende Land verfolgte seine Ansprüche auf Zahlung der vermeintlich angefallenen „Negativzinsen“ gegenüber der beklagten Bank weiter. Ausgangspunkt und Entscheidungsgrundlage des Bundesgerichtshofs war, dass das klagende Land jeweils fünf gleichlautende Schuldscheine über 20 Mio. € ausstellte und dort jeweils vereinbart war, dass bis zum Ablauf der vereinbarten Fälligkeit des Kapitals ein Nominalzins in Höhe des Drei-Monats-Euribors + fixem Zinsaufschlag zu zahlen sind, wobei ein Höchstzinssatz von 5 % gelten sollte.
Nachdem sich allerdings ab März 2016 unter Anwendung der Zinsformel ein negativer Wert ergab, klagte das darlehensnehmende Land die angeblich angefallenen „Negativzinsen“ gegenüber der Bank ein.
Der Bundesgerichtshof hatte sich daher nunmehr mit der Grundsatzfrage zu beschäftigen, inwieweit, ohne konkrete Vereinbarung, „Negativzinsen“ geschuldet sein können. Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung im Wesentlichen am gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB orientiert, wonach es einem Darlehensvertrag und der dort vereinbarten Zinszahlungsverpflichtung nicht immanent ist, dass der Darlehensgeber aufgrund des eingetreten negativen Marktzinsumfelds verpflichtet wäre, „Negativzinsen“ zu zahlen. Seitens des klagenden Landes wurde im Wesentlich damit argumentiert, dass in der vereinbarten Zinsklausel neben dem variablem Zinssatz auch eine Zinsobergrenze vereinbart wurde. Da gerade keine Zinsuntergrenze vereinbart wurde, würde dies implizieren, dass auch ein „Negativzins“ möglich wäre.
Der Bundesgerichtshof erteilte dieser Argumentation allerdings eine Absage. Die unterbliebene Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruhe nach Auslegung darauf, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen seien, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Markentwicklung nicht negativ werden könne oder aber darauf, dass sie aufgrund des Leitbilds der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrags angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne.
Die weitere Argumentation des klagenden Landes, wonach aufgrund der Vereinbarung des Drei-Monats-Euribors und den damit verbundenen Umstand, dass sich die Bank wohl auf dieser Grundlage refinanzieren würde und bei Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich Zinsaufschlag auf unter Null hierdurch die Refinanzierungsmarge ausweiten könnte, überzeugte den Bundesgerichtshof ebenfalls nicht, da dieser davon ausgeht, dass das Äquivalenzprinzip im Rahmen der Vertragsauslegung nicht dazu herangezogen werden könne, die Wertigkeit von Leistungen neu zu bestimmen. Diese Auslegung entspreche hierbei auch der objektiven Sicht der Parteien in ihrer Eigenschaft als professionelle Marktteilnehmer, da die Refinanzierung der Bank nicht vom Erwartungshorizont des Kunden bei einer Konditionenvereinbarung umfasst sei. Auch lasse die Konditionenvereinbarung mit Bezugnahme auf einen Referenzzinssatz nicht zwingend auf eine kongruente Refinanzierung der Bank auf dieser Grundlage zu.
Die konkrete Begründung des Bundesgerichtshofs bleibt den schriftlichen Urteilsgründen vorbehalten. Jedenfalls dürfte sich hieraus herleiten lassen, dass aufgrund des Wesenstypus des Darlehensvertrags grundsätzlich eine Zinszahlungspflicht nur des Darlehensnehmers als vereinbart gilt. Die Möglichkeit des Anfalls von Negativzinsen muss daher wohl, da sie den vertragstypischen Pflichten im Darlehensvertrag diametral entgegenstehen, auch künftig typischerweise vereinbart werden, es sei denn, dass sich aus den spezifischen Begleitumständen und den konkreten Konditionen des Darlehensvertrags etwas anderes durch Auslegung ermitteln lässt, wobei der Bundesgerichtshof einer solchen Auslegung wohl in seinen Entscheidungsgründen strikte Grenzen setzen wird.
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Alexander Göhrmann
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht