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28.01.2019 | Bankrecht:
MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGEN IN WIDERRUFSSACHEN
Verhandlung über die erste Musterfeststellungsklage zum Widerruf von Autokrediten vor dem OLG Stuttgart.
Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen (insb. Verbraucherverbände) nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO „die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer begehren“. Hintergrund der zum 01.11.2018 nach ungewöhnlich zügigem Gesetzgebungsverfahren eingeführten neuen Klageform war in erster Linie der „Diesel-Skandal“ und die drohende Verjährung von Schadensersatzansprüchen der betroffenen Autokäufer. Noch am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage reichte sodann auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände unterstützt durch den ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig ein (Az. 4 MK 1/18), die am 26.11.2018 im Klageregister des Bundesamts für Justiz öffentlich bekanntgemacht wurde (https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Klagen/201802/KlagRE_2_2018.html?nn=11632480). Dieser Musterfeststellungsklage haben sich bislang bereits über 400.000 Verbraucher angeschlossen. Ein Verhandlungstermin wurde vom Gericht noch nicht bestimmt.
Daneben hat aber auch die Schutzgemeinschaft für Bankkunden (SfB) zwei Musterfeststellungsklagen eingereicht. Eine ebenfalls beim OLG Braunschweig gegen die VW Bank GmbH, die andere gegen die Mercedes-Benz Bank AG beim OLG Stuttgart (https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Klagen/201801/KlagRE_1_2018.html). Hier geht es nicht um Schadensersatzansprüche gegen Händler und Hersteller, sondern den Widerruf von Autokrediten. Gerichtlich überprüft werden soll insbesondere, ob in den Darlehensantragsformularen der Autobanken einzelne sog. Pflichtangaben nicht in der erforderlichen Weise enthalten waren und ob dem Verbraucher deshalb dem Grunde nach über die Frist von 14 Tagen hinaus ein Widerrufsrecht zustand. Ferner soll eine Feststellung zu den Rechtsfolgen eines Widerrufes getroffen werden. Im Erfolgsfall wäre bei allen kreditfinanzierten Autokäufen der Darlehenswiderruf eine mögliche Alternative, ein unliebsames (Diesel-) Fahrzeug wieder loszuwerden und im Gegenzug Anzahlung und geleistete Darlehensraten zurückzuerhalten. Dies aufgrund des Verbunds von Darlehensvertrag und Kfz-Kaufvertrag i.S.v. § 358 BGB. Attraktiv wäre dies für Verbraucher insbesondere, wenn zudem mit der Argumentation der Verbraucherschützer keine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer zu zahlen wäre.
Am 25.01.2019 fand nun in dem Verfahren gegen die Mercedes-Benz Bank bereits ein erster Termin vor dem OLG Stuttgart statt (Az. 6 MK 1/18). Das Gericht hatte vorab schon darauf hingewiesen, dass es zu prüfen haben wird, ob und ggf. welche Fragen dieses Rechtsstreits es dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen wird. In der ersten Verhandlung ging es nun aber zunächst um die Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage. Für das Gericht ist fraglich, ob die SfB überhaupt klageberechtigt ist. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO beschränkt die klageberechtigten Einrichtungen durch die Vorgabe bestimmter zu erfüllender Kriterien, um das Entstehen einer Klageindustrie zu verhindern. So ist insbesondere zu klären, ob die SfB genügend Mitglieder hat; der Verein hat bislang nur eine anonymisierte Liste seiner Mitglieder vorgelegt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die klagende Einrichtung Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnimmt. Die SfB tritt nach außen aber vor allem auch durch Abmahnungen und die Geltendmachung von Vertragsstrafen in Erscheinung. Das OLG Braunschweig sah den Nachweis der Klageberechtigung in dem anderen Musterfeststellungsverfahren nicht als erbracht an und lehnte daher eine Bekanntmachung im Klageregister mit Beschluss vom 12.12.2018 ab (Az. 4 MK 2/18). Hiergegen hat die SfB Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Das OLG Stuttgart äußerte in der mündlichen Verhandlung aber auch Zweifel an der Begründetheit der Musterfeststellungsklage. Eine Entscheidung soll am 20. März ergehen.
Unabhängig von diesen ersten Verfahren stellt sich generell die Frage nach den Vorteilen einer Musterfeststellungsklage in Widerrufssachen. Ein „rationales Desinteresse“ der Verbraucher, das es zu überwinden gilt, besteht bei Verbraucherdarlehenswiderrufen angesichts der hiermit verbundenen erheblichen wirtschaftlichen Vorteile regelmäßig nicht. Auch ist keine wesentliche Beschleunigung der Verfahren zu erwarten. Denn im Rahmen der Musterfeststellungsklage können stets nur für sämtliche Rechtsstreitigkeiten relevante Vorfragen geklärt werden. Es verbleiben dann immer noch einzelfallbezogene Fragen wie die der Verbrauchereigenschaft des Darlehensnehmers, des Vertragsschlusses im Wege des Fernabsatzes, der Verwirkung bzw. des Rechtsmissbrauchs und der konkreten Rückabwicklungsfolgen. Sieht man von der Möglichkeit eines Vergleichs im Musterfeststellungsverfahren nach § 611 ZPO ab, wird sich für den einzelnen Verbraucher also typischerweise immer noch ein (unter Umständen langwieriger) Individualrechtsstreit anschließen (im Rahmen dessen ebenfalls Grundsatzfragen verbindlich vom BGH geklärt werden können). Nicht von der Hand zu weisen ist hingegen der Gesichtspunkt der Reduzierung des Prozesskostenrisikos durch den Anschluss an die Musterfeststellungsklage. Dies ist jedenfalls für diejenigen Verbraucher relevant, die weder rechtsschutzversichert noch prozesskostenhilfeberechtigt sind und daher von einer klageweisen Geltendmachung ihrer Ansprüche absehen würden.
Es bleibt abzuwarten, ob die Musterfeststellungsklage für Darlehenswiderrufe noch Bedeutung erlangt. Der Musterfeststellungsklage gegen die Mercedes-Benz Bank haben sich gerade einmal knapp 680 Verbraucher angeschlossen (von denen nach Einschätzung des Gerichts nur etwa 140 als berechtigt angesehen werden können). Auch für Kreditinstitute könnte die neue Klageart aber in Zukunft relevant werden, beispielsweise bei klassischen „Bagatellschäden“ durch vermeintlich unzulässige Entgelte.