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21.02.2023 | Bank- und Kapitalmarktrecht:
Oberlandesgericht Bamberg entscheidet erstmals über Zinsen bei Prämiensparverträgen
Das Oberlandesgericht Bamberg hat – als zweites Oberlandesgericht bundesweit überhaupt – am Mittwoch, den 15.02.2023 in insgesamt 11 verschiedenen Rechtsstreitigkeiten Urteile über Zinsanpassungen bei langfristigen Sparverträgen verschiedener Sparkassen „S-Prämiensparen flexibel“ verkündet.
Seit die Sparkassen im 2. Halbjahr 2019 großflächig begonnen haben, die in den Jahren 1992 bis zum Beginn der Finanzmarktkrise standardisiert angebotenen Prämiensparverträge „S-Prämensparen flexibel“ mit erstmaligem Erreichen der höchsten Prämienstufe (meist im 15. Sparjahr) zu kündigen, stellt sich nicht nur die Frage der Kündbarkeit dieser von manchem Verbraucher langfristig geschätzten Prämiensparverträge, sondern auch die Rechtsfrage etwaiger Zinsnachberechnungsansprüche. Hierzu sind in beinahe allen Bundesländern Musterfeststellungsklagen anhängig, aber auch viele Individualverfahren vor den Amtsgerichten und Landgerichten.
Zur Frage des richtigen Referenzzinssatzes oder der verschiedenen möglichen Referenzzinssätze liegen auch 3 ½ Jahre nach Beginn der Kündigungswelle und der nachfolgenden Klagewelle noch keine abschließenden Entscheidungen vor. Einzig das Oberlandesgericht Dresden hat bislang in zwei Individualverfahren abschließende Urteile gefasst. Nunmehr hat auch das Oberlandesgericht Bamberg (divergierend) entschieden.
- Sachverständigengutachten Prof. Thießen
Wie das Oberlandesgericht Dresden, das am 13.04.2022 in zwei Individualklageverfahren über Zinsnachzahlungsansprüche zum Prämiensparvertrag „S-Prämiensparen flexibel“ verhandelt hat, hat sich auch das Oberlandesgericht Bamberg der Sachverständigenhilfe des anerkannten Gutachters Prof. Dr. Thießen der Uni Chemnitz bedient.
Dieser erläuterte, dass es für die Ermittlung des richtigen Referenzzinssatzes zwei Methoden gebe. Zum einen könne man einen Kapitalmarktzins zugrunde legen und durch Abzug der Marge den richtigen Sparzins ermitteln. Alternativ könne man eine möglichst langfristige Zinszeitreihe für Spareinlagen zugrunde legen, die eher die Konkurrenzsituation unter den Banken und Sparkassen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Prämiensparverträge berücksichtige.
Für den einzelnen Vertrag mag bei der Nachberechnung – je nachdem, welcher Methode man folge – ein eklatanter Unterschied im Ergebnis festzustellen sein (teilweise bis zu 100 % Differenz zwischen den Ergebnissen nach den beiden Rechenmethoden). Vergleiche man eine Vielzahl von Gutachtenergebnissen, zeige sich, dass beide Verfahren im Durchschnitt zu einem vergleichbaren Mittelwert kämen.
Als Kapitalmarktzinszeitreihe wird von Prof. Thießen die langfristige Kapitalmarktzinszeitreihe der Bundeswertpapiere mit einer Restlaufzeit von 8 bis 15 Jahren (WU9554) favorisiert, von der ausgehend unter Anwendung eines relativen Abstands der Sparzins ermittelt werden könne.
Alternativ rechnet Prof. Thiessen mit einer Referenzzinsreihe für Spareinlagen möglichst langfristiger Natur. Aktuell ist dies die von der Deutschen Bundesbank ermittelte und veröffentlichte Zinszeitreihe SUD105 (seit 2003, vormals für die Jahre 1992 bis 1997 die Referenzzinszeitreihe für Spareinlagen mit vierjähriger Kündigungsfrist und für die Jahre 1997 und 2003 die Referenzzinszeitreihe für Spareinlagen mit einer höheren Verzinsung bei dreimonatiger Kündigungsfrist und einer Vertragsdauer von mindestens vier Jahren). Ermittelt wird von dem Sachverständigen eine einheitliche Zinszeitreihe, in der – entsprechend der Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 2010 – angabegemäß bei Beendigung einer von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinszeitreihe (erstmals 1997) die spätere Zinszeitreihe nach einem relativem Abstand auf die frühere Zeitreihe angepasst werde – und all dies nochmals im Jahre 2003.
Dies mag für Prämiensparverträge, die vor dem Jahre 1997 abgeschlossen wurden, den Vorgaben des BGH aus der Entscheidung vom 21.12.2010, Az.: XI ZR 52/08 entsprechen. Zu kritisieren ist, dass diese „angepasste Zinszeitreihe“ auch bei der Nachberechnung von Verträgen zugrunde gelegt wird, die nach 1997 (und erst recht nach 2003) erstmals abgeschlossen wurden. Nach den Vorgaben des BGH in gefestigter Rechtsprechung ist auf eine zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von neutraler Stelle ermittelte und veröffentlichte Zinszeitreihe abzustellen, nicht auf eine nicht veröffentlichte selbst angepasste Zinszeitreihe abzustellen.
- Entscheidung des Oberlandesgerichts
Während das Oberlandesgericht Dresden sich in den beiden Urteilen vom 13.04.2022 zur Nachzahlung von Prämiensparverträgen für die Variante „langfristige Kapitalmarktzinszeitreihe WU9554“ entschieden hatte, hat das Oberlandesgericht Bamberg – abweichend hiervon – in allen 11 Verfahren die Zeitreihe für möglichst langfristige Spareinlagen seinen am 15.02.2023 verkündeten Urteilen zugrunde gelegt.
- Keine Zulassung der Revision zum BGH
Obwohl damit bundesweit eine divergierende Rechtsprechung entstanden ist, hat der 8. Senat beim Oberlandesgericht Bamberg die Revision zum BGH nicht zugelassen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der BGH vorgebe, dass sich das Gericht sachverständig beraten eine eigene Meinung bilden müsse.
Ob die Ausführungen des BGH in der Entscheidung vom 24.01.2023, Az.: XI ZR 257/21, Rz. 34, dass ein Gericht auch Sachverständigengutachten anderer Gerichte berücksichtigen könne, mit dieser Auffassung im Einklang stehen, kann sicherlich trefflich diskutiert werden – allerdings nicht vor dem BGH, da die Revision ja nicht zugelassen wurde.
- Weitere Zinsanpassungsparameter
Das Oberlandesgericht Bamberg legte als Referenzzinszeitreihe die von Prof. Thießen vorgeschlagene Zinszeitreihe für Spareinlagen, ermittelt nach den verschiedenen Referenzzinszeitreihen der Deutschen Bundesbank, zugrunde.
Im Hinblick auf die weiteren Zinsanpassungsparameter, insbesondere die Frage des Zinsabstandes zwischen Referenzzins und Vertragszins, folgte der 8. Zivilsenat beim Oberlandesgericht Bamberg unreflektiert den Vorgaben des Bundesgerichtshofs, d. h. relativer Abstand, monatliche Zinsanpassung, keine Anpassungsschwelle.
- BBK.WX4260 – die Lieblingszinszeitreihe der Verbraucherverbände
Im Rahmen der Sachverständigenanhörung erläuterte Prof. Thießen anschaulich, dass der von den Verbraucherzentralen favorisierte Referenzzinssatz „BBK.WX4260“ nicht passend und angemessen sei. Bei dieser Referenzzinszeitreihe handele es sich um eine Referenzzinszeitreihe für Pfandbriefe, die stets einen Risikoaufschlag gegenüber sicheren Spareinlagen enthalte. Als Beispiel verwies Prof. Thießen anschaulich auf den Fernsehaufritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Finanzmarktkrise, in der diese erklärte, dass alle Spareinlagen sicher seien. Für Pfandbriefe und andere Kapitalmarktpapiere galt diese Aussage nicht. Die Zinsen und Renditen am Kapitalmarkt sind damals um 1 Prozentpunkt gestiegen, während die Sparzinsen für sichere Einlagen gleichblieben. Ein Sparer, der in der warmen Wohnung sitze und sein Geld in Spareinlagen geparkt hätte, könne aber nicht einen Zinsaufschlag erwarten, nur weil es draußen (am Kapitalmarkt) gerade stürmisch zugehe – so die bildhafte Erklärung des Sachverständigen.
- Spareckzins und Bonussparverträge der Genossenschaftsbanken
Den volatilen Spareckzins hält der Sachverständige für Prämiensparverträge der Sparkassen für nicht angemessen, da dem Sparer von Anfang an ein langfristiger und vermutlich erwartungsgemäß konstanterer Zinssatz angeboten worden wäre.
Anderes könnte nur gelten, wenn in den Vertragsformularen – wie sich dies bei den Bonussparverträgen der Genossenschaftsbanken häufig finden lässt – eine „Höherverzinsung“ ausdrücklich vereinbart wird. Dies könne bedeuten, dass der geringere Spareckzins als Referenzzins in Betracht komme. Dies könne jedoch für die Beurteilung der Prämiensparverträge der Sparkassen dahingestellt bleiben.
- Kündigungsrecht unbefristeter Prämiensparverträge bestätigt
Im Hinblick auf die Kündigungen bestätigte der 8. Zivilsenat beim Oberlandesgericht Bamberg seine Auffassung, dass alle Prämiensparverträge „S-Prämiensparen flexibel“ mit erstmaligem Erreichen der höchsten Prämienstufe nach 15 Jahren von der Sparkasse gekündigt werden können, auch wenn weitere Sparjahre enumerativ aufgeführt seien.
- Kündigungsrecht für 1188er-Formulare bejaht
Bemerkenswert ist, dass der Senat zutreffend die Kündbarkeit für die höchstumstrittene Vertragskonstellationen bestätigt, dass im Rahmen einer Vertragsumschreibung nach dem Tod des früheren Vertragsinhabers eine Laufzeit von „1188 Monaten“ im neuen Formular enthalten ist. Es handele sich nach zutreffender Ansicht des Senats dennoch lediglich um eine Vertragsdatenaktualisierung oder Abtretung eines bis dahin unbefristeten (und mithin nach 15 Jahren kündbaren) Vertrages. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Parteien bei der Umschreibung eine Laufzeit vereinbarten wollten, innerhalb derer der Prämiensparvertrag nicht gekündigt werden dürfe (Urteil des OLG Bamberg vom 15.02.2023, Az.: 8 U 29/21).
- Finanzielle Bedeutung der Wahl des Referenzzinssatzes
In finanzieller Hinsicht kann zu den vom 8. Zivilsenat getroffenen Entscheidungen zu den Zinsnachzahlungsansprüchen auf Basis des von Prof. Thießen vorgeschlagenen möglichst langfristigen Spareinlagereferenzzinssatzes festgestellt werden, dass sich die Ergebnisse in einer Größenordnung von 24 % bis 45 % der jeweiligen Klageforderung (errechnet nach der von den Verbraucherzentralen und Hink & Fischer favorisierten Zinszeitreihe BBK.WX4260/gleitend) belaufen – meinst in der Größenordnung von ca. 35 %.
Abschließende Bemerkung
Es wäre sicherlich nicht unangebracht, einmal politisch die Frage zu stellen, warum Verbraucherverbände bei Anfragen von Sparkassenkunden immer noch mit einer Zinszeitreihe rechnen, die nicht den Vorgaben des BGH entspricht und zu Ergebnissen führt, die 200 % bis 350 % über den in mehreren Gerichtsverfahren zwischenzeitlich festgestellten Ergebnissen führt. Mit neutralem und objektivem Verbraucherschutz dürfte dieses Verhalten der Verbraucherschutzverbände nicht mehr vereinbar sein.
Während den Sparkassen bei Erstellung der Vertragsformulare in den Jahren 1992 bis 2004 nicht vorgeworfen werden kann, dass sie die für das heutige Dilemma verantwortliche Änderung der Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 17.02.2004 nicht vorhergesehen haben und nicht vorhersehen konnten, könnte von den Verbraucherschutzverbänden sehr wohl erwartet werden, dass diese sich bei ihrer Beratung und kostenpflichtigen Berechnung an die Vorgaben des BGH halten, zumal diese seit zwischenzeitlich mehr als 10 Jahren vom BGH konkretisiert wurden. Der BGH hat bereits in seinen Entscheidungen aus dem Jahre 2010 zwei Grundprinzipien festgelegt: Keine Relevanz rückwärtsgerichteter gleitender Durchschnitte und Vergleichbarkeit mit einer von der Deutschen Bundesbank als neutraler Stelle ermittelten und veröffentlichten Referenzzinszeitreihe. Die weit überhöhten Rechenergebnisse der Verbraucherschutzverbände, die in noch keinem einzigen Gerichtsverfahren auch nur annähernd bestätigt wurden, werden nur dadurch erreicht, dass bewusst gegen diese Vorgaben des BGH verstoßen wird. Verbraucherschutz sollte jedoch dem Verbraucher dienen und diesen schützen, nicht aufhetzen.
Johannes Meinhardt, M.B.A.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht