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19.04.2022 | Bank- und Kapitalmarktrecht:
OLG Dresden bestimmt einen Referenzzins im Individualprozess
Am 13.04.2022 hat das OLG Dresden in einem vielbeachteten Berufungsurteil einen Referenzzins für die Nachberechnung von Zinsen für einen Prämiensparvertrag „S-Prämiensparen flexibel“ bestimmt.
Es handelt sich hierbei nicht um die Musterfeststellungsklage, die am 06.10.2021 beim Bundesgerichtshof verhandelt worden war und mit einer Zurückverweisung an das OLG Dresden zur Bestimmung des richtigen Referenzzinses endete. Es handelte sich um einen bzw. zwei Rechtsstreite, die jeweils einen konkreten Sparvertrag eines Sparkassenkunden und dessen Zinswünsche zum Gegenstand hatten.
Da die Verfahren – sowohl die entschiedenen Individualprozesse, als auch die noch nicht erneut verhandelte Musterfeststellungsklage – in die Zuständigkeit des 5. Zivilsenats beim OLG Dresden fallen, dürfte der Entscheidung vom vergangenen Mittwoch durchaus eine über den Individualvertrag hinausgehende Bedeutung zukommen.
Seit der BGH im Mai 2019 entschieden hat, dass Sparkassen die langfristigen Prämiensparverträge „S-Prämiensparen flexibel“ kündigen dürfen, sobald erstmalig die höchste Prämienstufe erreicht ist (in der Regel nach 15 Jahren) fahren die Verbraucherschutzverbände eine Kampagne, dass zu wenige Zinsen bezahlt worden wären. Der BGH hat im Jahre 2004 entschieden, dass die in den alten Verträgen vereinbarte Zinsanpassungsklausel nicht hinreichend transparent sei. Die Möglichkeit einer Vertragsanpassung sieht das Gesetz nicht vor. Gelöst wird das Problem durch die sogenannte ergänzende Vertragsauslegung. Seit mehreren Jahren ist streitig, welche Referenzzinssätze anzuwenden sind.
Die Verbraucherschutzverbände rechnen mit einem Phantasiezins, der nicht von der Deutschen Bundesbank ermittelt wird, nicht nach mathematischen Grundsätzen berechnet wird und einen sog. gleitenden Durchschnitt abbilden soll, um die Vorteile einst höherer Zinsen in der Niedrigzinsphase möglichst lange zu perpetuieren.
In der Entscheidung vom 13.04.2022 hat das OLG Dresden zutreffend entschieden, dass dies nicht den Vorgaben des BGH entspricht.
Das OLG Dresden legt – sachverständig beraten – im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung auf der Basis eines verobjektivierten Parteiwillens die von der Deutschen Bundesbank veröffentlichte Zinszeitreihe der Ist-Zinssätze des Kapitalmarktes für börsennotierte Bundeswertpapiere mit 8 bis 15-jähriger Restlaufzeit, Monatswerte zugrunde.
Diese Zinsreihe spiegele nach Auffassung des Senats den langfristigen Charakter der Verträge wider, beruhe auf der Grundlage mehrerer Jahre, nivelliere Ausreiseffekte und komme der typisierten Sparzeit von 15 Jahren am nächsten, lasse dabei aber dennoch Spielraum für Liquiditätsaspekte. Bundeswertpapiere wiesen eine hohe Liquidität ohne nennenswerte implizite und explizite Kosten auf und spiegelten den sogenannten „risikolosen Zins“ wider, was die bei Vertragsschluss geltende Gewährträgerhaftung der Sparkassen berücksichtige.
Die Entscheidung ist grundsätzlich zu befürworten, berücksichtigt aber zu wenig, dass Prämiensparverträge nicht nur als langfristige Kapitalanlage angeboten und genutzt wurden, sondern auch als flexible Sparform.
Hintergrund der Entscheidung des OLG Dresden ist, dass der BGH mehrfach, zuletzt in der Entscheidung vom 06.10.2021, ausgeführt hat, dass davon auszugehen sei, dass abgeschlossene Prämiensparverträge kundenseitig nicht gekündigt werden, sondern bis zum Zeitpunkt der Kündigung durch die Sparkasse vom Sparer genutzt würden. Die vorzeitige Kündigung durch den Sparer sei für diesen keine wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
Empirische Ermittlungen bei mehreren von uns vertretenen Sparkassen haben hingegen ergeben, dass knapp 50 % der Prämiensparverträge kundenseitig in den ersten fünf Jahren gekündigt werden. Wenn nach 15 Jahren erstmals die Prämiensparverträge durch die Sparkasse gekündigt werden können, existieren weniger als 40 % der Prämiensparverträge noch. Insbesondere die hohe Kündigungsquote durch die Verbraucher in den ersten fünf Jahren zeigt, dass die Prämiensparverträge häufig als flexible Möglichkeit, monatlich Geld zurückzulegen, genutzt wurden. Die Prämiensparverträge wurden von den Sparkassen auch entsprechend in der Werbung angeboten – wie schon die Bezeichnung „flexibel“ zeigt.
Es bedarf daher nach unserer Auffassung für die Festlegung des Referenzzinssatzes einer Kombination aus einer langfristigen Zinszeitreihe und einer kurzfristigen Zinszeitreihe, beispielsweise dem Drei-Monats-Euribor.
Schon jetzt hat die Entscheidung des OLG Dresden zur Folge, dass die Wunschvorstellungen der Verbraucherschutzverbände durch eine Phantasiezinszeitreihe zurückgewiesen wurden. Rechnet man Zinsnachzahlungsansprüche nach der vom OLG Dresden als zutreffend erachteten Referenzzinszeitreihe ergeben sich Beträge zwischen 20 % und 35 % der Berechnungen (und Wunschvorstellungen) der Verbraucherschutzverbände.
Erstaunlich ist, dass das OLG Dresden die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen hat, obwohl die Frage des Referenzzinses bundeweit streitig und bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist.
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Johannes Meinhardt, M.B.A.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht