Ausgezeichnet – MG&P erneut im JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2024/2025 vertreten
29. Oktober 2024
12.11.2024 | Insolvenzrecht:
OLG München zur Qualifikation von Schadensersatzansprüchen von Wirecard-Aktionären als Insolvenzforderungen (Zwischenurteil v. 17.09.2024 – 5 U 7318/ 22 e [nicht rechtskräftig])
Zehntausende Aktionäre haben im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG Forderungen angemeldet. Die Aussichten für die Aktionäre, auf diese Forderungen eine Quote ausbezahlt zu bekommen, sind gering. Dank einer Entscheidung des OLG München nun v. 17.09.2024 dürfen die Aktionäre nun wieder hoffen: denn der 5. Zivilsenat des OLG München hat entschieden, dass die Aktionäre ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden können. Gegen den Insolvenzverwalter Michael Jaffé geklagt hatte die Vermögensverwaltung Union Investment, die von 2015 bis 2020 Wirecard-Aktien für 33 ihrer Kunden gekauft hatte. Abgeschlossen ist die Sache damit aber nicht, denn es handelt sich lediglich um ein Zwischenurteil.
nichtamtliche Leitsätze:
- Bildet die Rangfrage den zentralen Streit des Prozesses, der deswegen als Pilotverfahren ausgewählt und geführt wird, und soll diese Frage nach Auffassung der Parteien vorrangig gerichtlich geklärt werden, ist die Qualifikation als Insolvenzforderung eine Zulässigkeitsvoraussetzung, über die im Wege eines Zwischenurteiles nach § 280 Abs. 2 ZPO entschieden werden kann.
- Ansprüche durch Täuschung zum Aktienerwerb veranlasster Aktionäre sind im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten Insolvenzforderungen iSd. § 38 InsO.
- Kapitalmarktrechtliche Ansprüche getäuschter Aktionäre gegen den Emittenten sind weder innerhalb noch außerhalb der Insolvenz als Ausfluss der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung der Aktionäre anzusehen und unterliegen nicht kapitalerhaltungsrechtlichen Rückzahlungsverboten.
Zur Entscheidung:
Das Verfahren betrifft ein „Pilotverfahren“ zur Klärung des insolvenzrechtlichen Ranges der Schadensersatzansprüche der Wirecard-Aktionäre. Die im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard-AG angemeldeten Gläubigerforderungen belaufen sich auf ca. EUR 15,4 Mrd. Die Prüfung der Forderungen der Aktionäre wurde bislang zurückgestellt; vorgezogen geprüft und bestritten wurde lediglich die Anmeldung der Klägerin, um die Klärung der sogenannten Rangfrage im Wege eines Pilotverfahrens zu ermöglichen. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die getäuschten Aktionäre mit ihren Schadensersatzansprüchen Insolvenzgläubiger iSd. § 38 InsO oder nachrangige Gläubiger iSd. § 39 InsO sind oder nur mit dem Nach-Nachrang des § 199 S. 2 InsO an einem Überschuss teilhaben. Die Rangfrage ist umstritten und vom BGH bisher höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Für die von ihr verwalteten Sondervermögen hatte die klagende Kapitalverwaltungsgesellschaft, die Union Investment AG, Aktien der Wirecard AG ge- beziehungsweise verkauft. Nach Ansicht der Klägerin habe die Wirecard AG Kapitalmarktinformationspflichten vorsätzlich verletzt. Ohne diese Pflichtverletzung und in Kenntnis der wahren Situation hätte die Klägerin die von ihr auf den Erwerb von Wirecard Aktien gerichteten Transaktionsgeschäfte sämtlich nicht durchgeführt. Die Klägerin ist deswegen der Ansicht, ihr stünden gegen die Wirecard AG Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, § 826 BGB, sowie gestützt auf §§ 97, 98 WpHG zu. Diese Ansprüche hat die Klägerin daher zur Insolvenztabelle angemeldet. Der beklagte Insolvenzverwalter und die weitere Beklagte haben dieser Anmeldung widersprochen. Der Insolvenzverwalter sieht die Forderungen von Gläubigern als vorrangig. Wirecard schuldet sowohl kreditgebenden Banken als auch ehemaligen Angestellten viel Geld. Aktionäre hingegen haben zwar Kursverluste erlitten, dem Konzern aber weder Geld geliehen noch sonstige Leistungen erbracht, bei denen Wirecard die Zahlung schuldig geblieben wäre. Hätten die Aktionäre gleichrangige Ansprüche, bliebe für die Gläubiger sehr viel weniger Geld übrig, argumentiert der beklagte Insolvenzverwalter.
In der ersten Instanz hatte das Landgericht München I die Klage noch abgewiesen. (Urt. v. 23.11.2022, Az. 29 O 7754/21). Die Kammer entschied damals, dass “etwaig bestehende Schadenersatzansprüche der Klägerin nicht als Insolvenzforderungen im Rang des § 38 InsO zur Tabelle festgestellt werden können“. Eine Einordnung der Ansprüche von Aktionären als Insolvenzforderung sei „mit den Grundwerten des Insolvenzrechts nicht vereinbar“.
Das OLG München trat dem nunmehr entgegen und stellte fest, dass diese Ansprüche nicht aus der Mitgliedschaft der Klägerin an der Schuldnerin resultieren, sondern als Drittgläubigerrechte zu behandeln sind. Die Klägerin sei durch die arglistige Täuschung der Schuldnerin geschädigt worden, was zu einer deliktischen Haftung der Schuldnerin führe. Diese Ansprüche seien daher als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO anzumelden und nicht im Nach-Nachrang des § 199 S. 2 InsO zu berücksichtigen. Der BGH habe in vergleichbaren Fällen entschieden, dass solche Schadensersatzansprüche nicht den gesellschaftsrechtlichen Bindungen unterliegen und daher wie Forderungen außenstehender Dritter zu behandeln sind. Hierzu nimmt das OLG Bezug auf die sog. „EM-TV-Entscheidung“ des BGH vom 09.05.2005 zu Az. II ZR 28/ 02 sowie auf das sog. „Hirmann-Urteil“ des EuGH v. 19.12.2013. Für die (werbende) Aktiengesellschaft, die für die von ihrem Vorstand durch falsche Ad-hoc-Mitteilungen begangenen sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigungen analog § 31 BGB hafte, habe der BGH in der „EM-TV“- Entscheidung formuliert, dass eine Haftung nicht durch die besonderen aktienrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften über das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 AktG) begrenzt oder ausgeschlossen sei. Dies gelte jedenfalls im Fall des sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach den §§ 826, 31 BGB und eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 400 AktG als anlegerschützendem Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die Grundsätze aus dieser Entscheidung, so das OLG, habe der BGH für die Konstellation der betrügerischen Veranlassung eines Anlegers zum Erwerb nachrangige Genussrechte in die Situation der Insolvenz übertragen.
Für die werbende Aktiengesellschaft habe auch der EuGH im „Hirmann“-Urteil entschieden, dass der Grundsatz der Kapitalerhaltung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Aktionäre gegen ihre Aktiengesellschaft, insbesondere von Ersatzansprüchen aus der Prospekthaftung bzw. Kapitalmarktinformationshaftung nicht ausschließe.
Eine analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf diese Ansprüche sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, da der Aktienerwerb auf dem Sekundärmarkt keine Finanzierungswirkung für die Gesellschaft habe.
Fazit:
Mit seinem Zwischenurteil hat das OLG München ausschließlich über die Zulässigkeit der Klage entschieden. Dazu hat es die Rangfrage als Zulässigkeitsvoraussetzung betrachtet. Insolvenzverwalter Jaffé will nun vor dem Bundesgerichtshof klären lassen, ob die Forderungen von Aktionären den gleichen Rang haben wie die Ansprüche von Gläubigern, denen ein insolventes Unternehmen Geld schuldet. Das bestätigte ein Sprecher Jaffés. Auch das OLG verweist in seinem Zwischenurteil darauf, dass bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob Schadenersatzansprüche von Aktionären Insolvenzforderungen im Sinne der Insolvenzordnung sind. Dementsprechend hat das OLG München die Revision zugelassen. Damit wird nun der BGH diese Rangfrage final klären. Die Entscheidung, die der BGH dann zu treffen haben wird, wird – soviel ist sicher – großes Aufsehen erregen, da sie weitreichende Bedeutung für die grundsätzliche insolvenzrechtliche Handhabung von Gläubigerrechten haben wird.
Christina Elpers
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht